Kaum ein Haus in Rohrbach kann so viele originelle Namen aufweisen wie das einstige Anwesen an der Drehscheibe, in Rohrbach – das Eckhaus in der Obere Kaiserstraße Nr. 125 – Bahnhofstraße, in dem sich seit 2007 eine Tierarztpraxis befindet.
Das Haus wurde im Laufe des Jahrhunderts mehrmals umgebaut. Zentral gelegen war es zunächst ein Gasthaus, später ein Geschäftshaus. Auf einer alten Katasterkarte aus dem Jahr 1845 ist das ehemalige Anwesen noch mit diversen Wirtschaftsgebäuden eingezeichnet. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war das einstige Gasthaus „Wirtschaft zum müden Wanderer“ mit der Wirtin „Bas Annche“ bei Wanderburschen und sporadischen Kunden weit über das Saarland hinaus wegen seiner unkomplizierten, menschlichen Gastlichkeit geschätzt.
Bei den Rohrbachern hatte das Gasthaus gleich mehrere Namen „Zum müden Wanderer“, „Patronetasch“, „die Bettlaad“, „Zur Hell“ und „Neinzich“.
Es war wohl ein sehr altes Gebäude. Peter Jacob, genannt „Neinzichs Pitt“ erinnerte sich, dass auf einem Fensterbogen im Hof eine Jahreszahl des 15. Jahrhunderts stand. Ob dieser Fensterstein mit dieser Jahreszahl zu diesem Hause gehörte oder als Abbruchstein von einem anderen Hause verwendet wurde, ließ sich nicht mehr feststellen. Aus der Art der Bauweise, Außenwände aus Kalk und Lehm, Zwischenwände aus Lehm und Stroh und der Dachstuhl aus dicken Eisensparren konnte man folgern, dass die Bauzeit lange zurücklag.
Die Nachforschungen ergaben, dass das Haus bis 1903 einem Herrn Bärmann gehörte. Er war Bäcker und backte das Brot in der Backstube im Hof. 1903 ersteigerte Heinrich Jacob das Anwesen für 24.000 Mark. Die im Haus befindliche Wirtschaft hatte Adolf Hussong von etwa 1897 bis 1904 gepachtet.
Später wurde an das alte Gebäude noch ein Anbau mit flachem Dach angefügt (links im Bild, jedoch nur der untere Teil). Da der Anbau, in dem sich das Nebenzimmer befand, am Hauptgebäude hing wie eine Patronentasche am Soldaten, wurde der Wirtschaft der Name „Patronentasch“ gegeben.
Noch einen originellen Namen hatten die Rohrbacher für die Wirtschaft. Da man von der Straße eine Stufe hinabsteigen musste um ins Wirtshaus zu gelangen, sagte man nun auch noch „Die Hell“.
Handwerksburschen, die sich auf der Walz befanden und durch Rohrbach kamen, übernachteten hier auf der Tenne, mussten aber vorher ihre Streichhölzer und Rauchwaren beim Wirt abgeben. Aber auch so mancher Schäfer übernachtete hier, nachdem er seine Schafe im Hof von „Neinzichs“ zusammengetrieben hatte. An einer Pumpe im Hof wurden sie getränkt. Bis etwa 1935 übernachteten in der „Bettlaad“ die müden Wanderer. Noch etwas sei zur „Bettlaad“ angemerkt. 1931 soll ein junges Rohrbacher Ehepaar sogar die Hochzeitsnacht hier verbracht haben, weil sie zuhause kein Bett hatten.
Aus verkehrstechnischen Gründen musste im Jahr 1940 das legendäre Gasthaus größtenteils abgerissen werden. Rohrbach war um ein weit und breit bekanntes Gasthaus ärmer.
Ein Teil der Räumlichkeiten zur Kaiserstraße hin diente viele Jahre als Geschäft. Ursprünglich war darin ein Delikatessengeschäft, dann wurde daraus ein Uhrengeschäft, es folgte ein Gemüseladen und zuletzt befand sich das Friseurgeschäft Peter Jungs („Fetzes Peter“) darin, der das Haus auch mit seiner Familie bewohnte.
Heinz Jacob (2015 verstorben) erinnerte sich, dass sein Großvater Heinrich, der Wirt der Wirtschaft „Zum müden Wanderer“ sich eigentlich wenig um den Wirtschaftsbetrieb kümmerte. Dies oblag vorwiegend seiner Ehefrau, die allgemein „Bas Annche“ genannt wurde. Großvater Heinrich Jacob fuhr das Stückgut vom Bahnhof Rohrbach zu den einheimischen Betrieben und Handwerkern. Selbst nach Spiesen fuhr er mit seinem Rollwagen.
Im Bereich der heutigen Siedlung besaß „de Neinzich“ eine große Obstwiese, die sich vom Waldhorn (ehemalige Wirtschaft auf der Tummelplatzsiedlung) bis ins heutige Mühlenwäldchen erstreckte und war von Weidenbäumen und -sträuchern eingezäunt. Zu gegebener Zeit wurden die Weiden geschnitten und nach entsprechender Zubereitung kamen die Korbflechter aus Bierbach und flochten im Hofe „Zum müden Wanderer“ Körbe.
Heinrich Jacob war ein „unermüdlicher Schaffer“ und soll einmal gesagt haben: Schade das wir keine Mitternachtssonne haben, denn dann könnte ich Tag und Nacht schaffen.
Auf dem Grundstück, wo einst Scheune und Stallungen waren, entstand die Polsterei und das Gardinengeschäft Jacob („Neinzich“). Geführt wurde dieses Geschäft von der Frau Maria Jacob (Kriegerwitwe von Reinhold Jacob, einem Sohn von Heinrich Jacob) und ihrem Sohn Heinz. Heute befinden sich in diesem Gebäude eine Heißmangel und eine Physiotherapie-Praxis.
1942 legte die Gemeinde Rohrbach zur Bahnhofstraße hin eine Grünanlage an, mit vier Sitzbänken, in Rohrbach nur „Die Anlage“ genannt. Die Grünfläche war ca. 16 m lang und in der Tiefe zur Metzgerei Mader hin, etwa 8 m. Eine etwa 50 cm hohe Klinkermauer, darauf ein Lattenzaun von etwa 60 cm grenzte die besagte Grünfläche zur Kaiser- und Bahnhofstraße hin ab.
Durch schmale Eingänge gelangte man von der Bahnhof- und Kaiserstraße her in die Grünanlage. Die Anlage wurde durch die Rohrbacher Bevölkerung gut angenommen und war viele Jahre während des 2. Weltkrieges und in der Nachkriegszeit ein beliebtes Rendezvous-Plätzchen für junge Liebespärchen. Ebenso war sie für junge Sänger des Männerchores ein idyllischer Ort für eine „nächtliche Singstunde“. Hier konnte man auch länger verweilen, Neuigkeiten aus dem Dorfgeschehen auszutauschen und insbesondere die Geselligkeit in einer schweren Zeit pflegen. An der Mauer zum Anwesen Mader waren Schaukästen angebracht, in denen Vereine und politische Gruppierungen ihre Informationen kundtaten.


1954 war dann das Ende der Grünanlage gekommen. Oskar Mann ersteigerte ein Teil des alten Hauses und errichtete auf dem Grundstück 1956 ein modernes Lebensmittelgeschäft.

Zum Schluss noch zwei Episoden zu dem Namen „Neinzich“.
Heinrich Jacob, der die Gastwirtschaft „Zum müden Wanderer“ 1903 ersteigerte war ursprünglich Bergmann. Wenn er sein Schichtsoll von 90 gefüllten Loren erfüllt hatte, rief er freudig „Neinzich“. Und so kam Heinrich Jacob zu seinem Namen Neinzich, der viele Rohrbacher auch heute noch ein Begriff ist.
Von „Neinzichs“ erzählt man sich auch noch folgende Begebenheit aus der Schule, die sich unter dem Lehrer Berg oder unter dem Lehrer Kiefer ereignet haben soll: Der Lehrer stellte einem Schüler eine Rechenaufgabe, die derselbe nicht lösen konnte. Als er sich wieder setzte, sagte sein Nebenmann zu ihm: „Wenn ich dem Lehrer eine Aufgab gebb, die kann der ach nedd.“
Der Lehrer bemerkte den Schwätzer und fragte ihn, was er eben gesagt habe. Der Schüler gab dem Lehrer nun folgende Aufgabe: „Wieviel können in Neinzichs Bett schlafen ?“. „Zwei“, gab der Lehrer zur Antwort. Der Schüler war aber anderer Meinung und sagte: „Neinzich und seine Frau sind 91 !“
Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung der Rohrbacher Heimatfreunde, Karl Gebhardt, Horst Diehl und nach Recherchen von Albert Senzig.
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